
Die Abendsonne spiegelte sich auf der ruhigen Wasseroberfläche des Sankelmarker Sees, während Anna, die Kinder und Fischer Petersen am Ufer standen. Der Wind war fast vollkommen abgeflaut, und es lag eine unheimliche Stille in der Luft, als ob der See selbst den Atem anhielt. Petersen hielt die alte Karte in den Händen, die sie in der verlassenen Hütte auf der Halbinsel gefunden hatten.
„Das hier,“ sagte Petersen und deutete mit dem Finger auf eine kleine Markierung nahe der Mitte des Sees, „ist der Ort, an den der Kompass gezeigt hat. Wenn Magnus wirklich nach etwas gesucht hat, dann könnte es hier sein.“
Anna verschränkte die Arme. „Wir können aber nicht einfach rausfahren und herumstochern. Wir brauchen eine bessere Strategie.“
„Vielleicht sollten wir erst mit Frau Lund sprechen,“ schlug Mia vor. „Sie kennt sich mit alten Karten aus. Vielleicht kann sie uns sagen, was dieser Ort bedeutet.“
„Eine gute Idee,“ sagte Anna. „Aber ich will nicht, dass ihr euch wieder in Gefahr bringt. Wenn wir wirklich aufs Wasser hinausfahren, dann nur unter sicheren Bedingungen.“
Die Kinder nickten, doch ihre Gedanken waren bereits bei dem, was sie vielleicht finden würden. Der See hatte ihnen schon so viele Rätsel aufgegeben – doch noch nie hatten sie eine Spur verfolgt, die so konkret war.
„Wir sollten morgen früh zur Akademie Sankelmark fahren,“ entschied Anna schließlich. „Und bis dahin reden wir mit niemandem darüber.“
Die Gruppe löste sich langsam auf. Petersen stapfte mit der Karte unter dem Arm zurück ins Dorf, während Anna und die Kinder ins Hotel gingen. Doch während sie die Stufen zur Lobby hinaufgingen, fiel ihnen auf, dass sie beobachtet wurden.
Auf der anderen Straßenseite, halb verborgen im Schatten einer alten Linde, stand Jonas.
Sein Blick war schwer zu deuten – nicht feindselig, aber auch nicht einladend. Er schien zu überlegen, ob er etwas sagen sollte, doch dann drehte er sich um und verschwand im Nebel.
„Was führt er nur im Schilde?“ murmelte Lukas.
„Vielleicht sollten wir ihn direkt fragen,“ sagte Finn.
„Oder ihn beobachten,“ schlug Mia vor. „Er scheint immer dann aufzutauchen, wenn wir kurz davor sind, etwas Wichtiges herauszufinden.“
Anna seufzte. „Wir haben genug, worüber wir nachdenken müssen. Geht schlafen. Morgen ist ein neuer Tag.“
Der nächste Morgen war kühl und klar. Die Kinder waren früh wach und voller Energie, während Anna sich nach ihrem ersten Kaffee sehnte. Nach einem schnellen Frühstück machten sie sich auf den Weg zur Akademie Sankelmark. Frau Lund empfing sie mit neugierigem Blick, als sie die alte Karte auf ihren Schreibtisch legten.
„Wo habt ihr das gefunden?“ fragte sie und fuhr mit den Fingern über das vergilbte Papier.
„In einer alten Hütte auf der Halbinsel,“ sagte Anna. „Wir glauben, dass sie Magnus gehört hat.“
Frau Lund musterte die Markierungen auf der Karte. „Das hier sind keine normalen nautischen Zeichen. Sie ähneln den alten Ritualsymbolen, die in den Archiven beschrieben werden.“
„Also war Magnus wirklich auf der Spur von etwas?“ fragte Mia.
„Es sieht ganz danach aus,“ murmelte Frau Lund. „Und wenn ich richtig liege, dann hat er etwas gesucht, das mit den alten Schutzmechanismen des Sees zusammenhängt.“
„Aber was genau?“ fragte Lukas.
„Das kann ich euch nicht genau sagen,“ gab Frau Lund zu. „Aber wenn ihr es herausfinden wollt, müsst ihr genau an diesen Punkt fahren.“
Anna schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
„Wir haben eine echte Spur,“ sagte Mia eindringlich. „Wir dürfen nicht aufhören.“
Frau Lund legte die Hände auf die Tischplatte. „Wenn ihr es wirklich versucht, dann tut es mit Vorsicht. Und vielleicht ist es an der Zeit, mehr über die alten Rituale herauszufinden. Ich werde nachsehen, ob es in den Archiven noch mehr Hinweise gibt.“
Anna nickte langsam. Sie wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Doch sie wusste auch, dass sie vorsichtig sein mussten.
„Morgen früh fahren wir raus,“ entschied sie schließlich. „Und wir werden sehen, was der See uns zeigt.“
Während sie die Akademie verließen, hatte Anna das Gefühl, dass sie einer Wahrheit näher waren als jemals zuvor. Doch ob sie bereit war, sie zu erfahren, wusste sie nicht.