
Der Herbstwind rauschte durch die Bäume, als Anna und die Kinder den kleinen Pfad entlanggingen, der zur St.-Georg-Kirche in Oeversee führte. Die alten Mauern des Gotteshauses ragten in den Himmel, bedeckt mit Moos und Spuren der Jahrhunderte. Der Friedhof rund um die Kirche war still, nur das Rascheln der Blätter und das entfernte Rufen einiger Krähen durchbrach die Stille. Die Sonne stand tief und warf lange Schatten über die verwitterten Grabsteine.
„Ich habe das Gefühl, als wären wir in einer anderen Zeit gelandet,“ sagte Mia und sah sich um. „Es ist so still hier.“
„Alte Orte tragen ihre Geschichten mit sich,“ murmelte Anna, während sie die Kirche musterte. „Vielleicht finden wir hier mehr über die Glocke heraus.“
Die Tür der Kirche war nicht verschlossen, und als sie sie öffneten, umfing sie ein kühler Luftzug. Der Innenraum war schlicht, aber beeindruckend. Hohe Steinwände, schmale Fenster, durch die gedämpftes Licht fiel, und ein Altar, der bereits viele Generationen erlebt hatte.
Fischer Petersen trat hinter ihnen ein und nahm die Mütze ab. „Ich war schon lange nicht mehr hier,“ sagte er leise. „Aber ich erinnere mich, dass es hier alte Inschriften gibt. Vielleicht steht dort etwas über die Glocke.“
Die Gruppe begann, sich umzusehen. Finn zog seine Taschenlampe heraus und leuchtete vorsichtig über die Wände. Sie waren teilweise mit alten Symbolen verziert – Kreuze, eingeritzte Namen und kunstvolle Muster. Doch dann entdeckte Lukas etwas.
„Hier! Schaut mal!“
Die anderen eilten zu ihm. In eine der hinteren Wände war eine Inschrift gemeißelt, kaum noch lesbar. Doch mit dem Licht der Taschenlampe konnte man einzelne Wörter entziffern.
„‚Die Stimme der Glocke wird das Wasser beruhigen‘,“ las Mia laut vor.
„Das klingt, als hätte sie eine Funktion gehabt,“ sagte Petersen nachdenklich. „Vielleicht war sie nicht nur ein Warnsignal, sondern Teil eines Rituals.“
„Dann wurde sie vielleicht genau deshalb versenkt,“ sagte Anna. „Jemand wollte nicht, dass sie benutzt wird.“
Während sie weiter über die Bedeutung der Worte spekulierten, bemerkte Lea etwas an einer anderen Stelle der Wand. „Hier sind noch mehr Symbole! Sie sehen aus wie die auf der Karte!“
Anna trat näher und betrachtete die feinen Gravuren. „Das bestätigt es – die Glocke war Teil eines größeren Ganzen. Aber warum?“
„Vielleicht war sie ein Schlüssel,“ sagte Finn. „Ein Schlüssel zu etwas, das wir noch nicht gefunden haben.“
„Dann müssen wir weitersuchen,“ entschied Lukas.
Sie machten Fotos von den Inschriften und beschlossen, so schnell wie möglich mit Frau Lund in der Akademie Sankelmark darüber zu sprechen. Während sie die Kirche verließen, fiel Annas Blick erneut auf die alten Mauern. Sie konnte nicht genau sagen, warum, aber sie hatte das Gefühl, dass sie einer Wahrheit näher waren, die weit über das hinausging, was sie sich vorgestellt hatten.
Der Wind trug das entfernte Rufen eines Vogels über den See. Und in diesem Moment wusste sie, dass dies noch lange nicht das Ende war.