
Die Dämmerung legte sich über den Sankelmarker See, und ein leichter Nebel begann sich über die Wasseroberfläche zu ziehen. Die Kinder, ausgestattet mit Taschenlampen und einem klaren Ziel, schlichen vorsichtig entlang des Ufers. Ihre Aufmerksamkeit war auf Herrn Jonas gerichtet, den mysteriösen Gast, der seit seiner Ankunft immer wieder seltsame Fragen über den See gestellt hatte. Sie hatten ihn beobachtet, wie er durch das Dorf schlenderte, mit Einheimischen sprach und lange Zeit am Bootshaus verbrachte. Nun war er wieder am Seeufer, und sie wollten herausfinden, was er vorhatte.
„Er macht definitiv etwas Merkwürdiges“, flüsterte Lukas, als sie hinter einem Baum Schutz suchten.
„Vielleicht sucht er etwas, genau wie wir“, murmelte Mia.
„Oder er versucht, etwas zu verstecken“, sagte Lea, ihre Augen auf Jonas fixiert, der sich über den Boden beugte und etwas in der Hand hielt.
„Was, wenn er mit den Wächtern zu tun hat?“ fragte Finn leise.
„Dann sollten wir es besser herausfinden“, sagte Lukas entschlossen.
Während die Kinder Jonas beobachteten, versuchte Anna im Hotel, einen chaotischen Nachmittag zu bewältigen. Eine Gruppe von Gästen hatte sich in der Lobby versammelt, um über ihre Erlebnisse der letzten Nacht zu sprechen. „Es klang, als würde jemand eine Glocke läuten“, sagte eine Frau mit energischer Stimme. „Aber es kam direkt vom See. Können Sie sich das erklären, Frau Anna?“
Anna seufzte innerlich, während sie versuchte, die Situation zu beruhigen. „Der See hat eine lange Geschichte, und manchmal spielt die Akustik seltsame Streiche“, sagte sie diplomatisch. „Vielleicht war es nur der Wind, der durch die Bäume geweht ist.“
„Wind? Es klang wie ein Konzert! Und dann diese Lichter! Mein Mann hat sie auch gesehen!“
In diesem Moment sprang die Katze, die die Kinder kürzlich im Garten gefunden hatten, auf den Empfangstresen und stieß eine Schale mit Keksen um. „Oh, nicht schon wieder!“ rief Anna und schnappte sich die Katze, die mit einem lauten Schnurren auf dem Tresen liegen blieb.
Die Gäste kicherten, und die angespannte Stimmung löste sich ein wenig auf. „Nun, vielleicht hat die Katze die Lichter gesehen“, sagte Anna mit einem Lächeln. „Sie scheint überall zu sein.“
Zurück am See hatten die Kinder beschlossen, Jonas vorsichtig zu folgen, als er in Richtung des alten Bootshauses ging. Sie schlichen hinter ihm her, versteckten sich hinter Bäumen und Büschen, während sie versuchten, nicht entdeckt zu werden.
„Was macht er da?“ flüsterte Finn, als sie sahen, wie Jonas etwas aus seiner Tasche holte und es auf dem Boden platzierte.
„Das sieht aus wie… eine Karte“, sagte Mia.
„Und was ist das daneben?“ fragte Lea. „Es glitzert.“
„Vielleicht ein Relikt“, sagte Lukas. „Wir müssen näher ran.“
Die Kinder krochen vorsichtig näher, bis sie nah genug waren, um zu sehen, dass Jonas tatsächlich eine Karte und einen kleinen, glänzenden Kristall vor sich ausgebreitet hatte.
„Das ist ein Teil von etwas“, flüsterte Mia. „Vielleicht gehört es zu dem Kristall, den wir gefunden haben.“
Doch bevor sie weiter spekulieren konnten, drehte Jonas sich plötzlich um. „Ich weiß, dass ihr da seid“, sagte er ruhig.
Die Kinder erstarrten. „Was sollen wir tun?“ flüsterte Finn.
„Zeigt euch“, sagte Jonas. „Ich werde euch nichts tun.“
Lukas trat als Erster aus dem Schatten, die anderen folgten zögernd. Jonas sah sie mit einem nachdenklichen Ausdruck an. „Ihr seid neugierig. Das ist gut. Aber manchmal kann Neugier gefährlich sein.“
„Was machen Sie hier?“ fragte Lukas. „Und was ist das für ein Kristall?“
Jonas betrachtete sie einen Moment lang, bevor er antwortete. „Ich suche nach Antworten, genau wie ihr. Der See birgt Geheimnisse, die bewahrt werden müssen. Und dieser Kristall ist ein Teil eines größeren Puzzles.“
„Also wissen Sie von den Wächtern?“ fragte Mia.
„Ja“, sagte Jonas. „Und ich weiß auch, dass sie nicht einfach Wesen aus einer Legende sind. Sie sind real, und sie bewachen etwas, das den See schützt.“
Während Jonas mit den Kindern sprach, begann sich der Nebel um sie herum zu verdichten. Es war, als würde der See auf ihre Anwesenheit reagieren. Jonas schien das zu bemerken und hielt inne. „Ihr habt die Glocke, nicht wahr?“
Die Kinder tauschten einen Blick, bevor Lukas vorsichtig nickte. „Ja, wir haben sie gefunden.“
„Dann müsst ihr sehr vorsichtig sein“, sagte Jonas ernst. „Die Glocke ist mächtig, aber sie kann auch zerstören, wenn sie falsch benutzt wird.“
„Was meinen Sie damit?“ fragte Lea.
„Ihr werdet es verstehen, wenn die Zeit kommt“, sagte Jonas. „Aber zuerst müsst ihr die anderen Teile finden.“
Zurück im Hotel war Anna dabei, die Lobby aufzuräumen, als die Kinder hereinkamen. Sie erzählten ihr von ihrem Treffen mit Jonas und seinen rätselhaften Warnungen. Anna hörte aufmerksam zu, doch sie konnte sich keinen Reim darauf machen. „Dieser Mann scheint mehr zu wissen, als er zugibt“, sagte sie schließlich. „Aber ich weiß nicht, ob wir ihm vertrauen können.“
„Vielleicht sollten wir ihn beobachten“, schlug Mia vor. „Wenn er nach den gleichen Dingen sucht wie wir, könnte er uns helfen – oder uns im Weg stehen.“
„Dann passt auf euch auf“, sagte Anna. „Und bringt mir Bescheid, wenn ihr etwas herausfindet.“
Während die Kinder in ihr Zimmer gingen, um ihre Entdeckungen zu dokumentieren, war Anna in Gedanken versunken. Die Geschichten, die sich um den See rankten, schienen immer dichter zu werden, und sie wusste, dass sie bald Antworten finden mussten – bevor es zu spät war.