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Episode 19: Das Echo der Glocke

Der Mond stand hoch am Himmel, und sein Licht spiegelte sich auf der stillen Oberfläche des Sankelmarker Sees. Es war eine jener Nächte, in denen die Welt schien, als hätte sie den Atem angehalten. Doch die Ruhe war trügerisch. Ein leises, kaum hörbares Summen vibrierte durch die Luft, als ob der See selbst einen Klang aufnahm und zurückhallte.

In der Lobby des Hotels „Seeblick“ standen die Kinder um die Glocke und den Kristall, die sie in den letzten Tagen entdeckt hatten. Finn hielt die Kamera bereit, Mia hatte ihr Notizbuch geöffnet, und Lukas und Lea studierten die Gravuren auf der Glocke. Anna saß am Empfangstresen und beobachtete die Gruppe mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier.

„Also, was genau passiert, wenn wir die Glocke wieder aktivieren?“ fragte Finn und hielt die Kamera so, dass er alles aufnehmen konnte.

„Das ist es, was wir herausfinden müssen“, sagte Lukas entschlossen. „Aber dieses Mal sollten wir vorbereitet sein. Letztes Mal hat sie nur leicht vibriert, aber jetzt… fühlt es sich anders an.“

„Vielleicht sollten wir das draußen machen“, schlug Lea vor. „Wenn sie wirklich mit dem See verbunden ist, könnten wir dort mehr herausfinden.“

Anna seufzte und trat näher. „Passt bitte auf. Ich weiß, dass ihr neugierig seid, aber wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben.“

„Keine Sorge, Anna“, sagte Mia. „Wir sind vorsichtig.“

Die Gruppe machte sich auf den Weg zum Seeufer, die Glocke und den Kristall sorgfältig in ein Tuch gewickelt. Der Nebel hing schwer über dem Wasser, und die Luft war kühl und still. Es fühlte sich an, als ob der See auf sie wartete.

„Stellt sie hierhin“, sagte Lukas und deutete auf einen flachen Stein am Ufer.

Finn platzierte die Glocke vorsichtig auf dem Stein, und Mia hielt den Kristall über die Glocke. Ein leises Summen erfüllte die Luft, und die Gravuren auf der Glocke begannen schwach zu leuchten.

„Das ist verrückt“, flüsterte Lea. „Es fühlt sich an, als würde sie… atmen.“

„Vielleicht nimmt sie etwas vom See auf“, sagte Mia.

Plötzlich erklang ein leises, aber klares Geräusch. Es war der Klang der Glocke, doch er war sanft und melancholisch, als ob er aus einer anderen Welt käme. Das Wasser des Sees begann sich zu bewegen, kleine Wellen breiteten sich kreisförmig aus, obwohl kein Wind zu spüren war.

„Das passiert wirklich“, murmelte Finn, während er alles filmte.

„Was glauben wir, was das auslöst?“ fragte Lukas.

„Vielleicht rufen wir etwas“, sagte Mia leise.

Während die Kinder die Glocke und den See beobachteten, bemerkten sie plötzlich eine Bewegung im Nebel. Schatten schienen sich über das Wasser zu bewegen, fast als ob jemand oder etwas dort war. „Habt ihr das gesehen?“ flüsterte Lea und griff instinktiv nach Lukas’ Arm.

„Da ist jemand“, sagte Lukas, seine Stimme angespannt.

„Oder etwas“, korrigierte Mia.

Die Kinder blieben stehen, unfähig, den Blick von den Schatten zu lösen. Doch die Gestalten kamen nicht näher. Stattdessen schien es, als ob sie den Klang der Glocke beobachteten.

Zur gleichen Zeit im Hotel kämpfte Anna mit einem anderen Problem. Ein Gast hatte sich beschwert, dass sein Zimmer seltsame Geräusche machte – ein leises Klopfen, das von den Wänden zu kommen schien. „Es klang, als ob jemand gegen die Wand trommelt“, sagte der Mann.

„Vielleicht ist es die alte Heizung“, sagte Anna und versuchte, die Situation zu entschärfen.

Doch als sie in das Zimmer ging, um nachzusehen, bemerkte sie selbst das Geräusch. Es war ein gleichmäßiges, leises Klopfen, das scheinbar von den Wänden kam. „Das gibt es doch nicht“, murmelte sie und klopfte gegen die Wand. Das Geräusch hörte abrupt auf.

„Es ist, als ob das ganze Hotel lebendig wird“, murmelte sie später, als sie in die Lobby zurückkehrte. Die Gäste sahen sie fragend an, doch Anna lächelte nur und bot an, einen weiteren Tee zu machen, um die Stimmung zu beruhigen.

Zurück am See entschieden die Kinder, die Glocke zu deaktivieren. Mia hob den Kristall vorsichtig weg, und der Klang verstummte sofort. Die Schatten im Nebel lösten sich auf, und die Wellen verschwanden, als ob nichts passiert wäre.

„Das war seltsam“, sagte Lea und schüttelte den Kopf. „Aber wir haben keine Antworten bekommen.“

„Vielleicht haben wir die falschen Fragen gestellt“, sagte Lukas nachdenklich. „Oder vielleicht brauchen wir noch mehr Fragmente.“

„Dann sollten wir uns die anderen Punkte auf der Karte ansehen“, schlug Mia vor.

Die Gruppe beschloss, ihre Entdeckungen zu dokumentieren und am nächsten Tag erneut zu forschen. Doch keiner von ihnen konnte das Gefühl abschütteln, dass sie beobachtet wurden – nicht nur vom See, sondern von etwas viel Größerem.

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