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Episode 20: Die Wächter des Sees

Der Morgen begann wie aus einem Traum. Der Sankelmarker See war in Nebel gehüllt, und die Sonne kämpfte darum, ihre Strahlen durch die dichte Wolkenschicht zu schicken. Es war die Art von Stille, die etwas ankündigte, und Anna konnte es spüren. Sie stand mit ihrer dampfenden Kaffeetasse auf der Veranda des Hotels „Seeblick“ und betrachtete das Wasser, das wie eine glatte, unberührte Leinwand vor ihr lag.

Die vergangenen Tage waren von Rätseln und unerklärlichen Ereignissen geprägt gewesen: Die Glocke, die Schatten im Nebel, Jonas und seine kryptischen Aussagen. Heute sollte jedoch das Dorffest stattfinden, und Anna hoffte, dass die Dorfbewohner und Gäste sich bei der Feierlichkeit entspannen könnten. Es war ihre Art, die Gemeinschaft zu stärken und vielleicht ein wenig Normalität zurückzubringen – trotz der immer drängender werdenden Geheimnisse des Sees.

In der Lobby herrschte geschäftiges Treiben. Die Kinder saßen an ihrem üblichen Tisch, der mittlerweile mehr wie ein Detektivbüro aussah. Karten, Notizen, alte Dokumente und die Glocke selbst lagen verstreut, während Finn sich auf den Stuhl kauerte und Mia ihre Notizen durchging.

„Also, was wissen wir bis jetzt?“ fragte Lukas, der mit verschränkten Armen dastand und das Chaos vor sich betrachtete.

„Wir wissen, dass die Glocke irgendwie mit den Wächtern verbunden ist“, sagte Mia, ohne den Blick von ihren Notizen zu nehmen. „Und wir wissen, dass Jonas etwas darüber weiß.“

„Aber wir wissen nicht, was die Wächter eigentlich bewachen“, fügte Lea hinzu. Sie hatte einen der Kristalle in der Hand und drehte ihn im Licht. „Vielleicht hat es mit der Balance zu tun, von der Jonas gesprochen hat.“

„Oder es gibt etwas im See, das nicht entdeckt werden soll“, sagte Finn. „Vielleicht eine Gefahr oder etwas Wertvolles.“

Anna trat mit einem Lächeln an den Tisch. „Bevor ihr weiter darüber spekuliert, helft mir bitte, die Girlanden aufzuhängen. Das Fest soll in ein paar Stunden beginnen, und ich brauche jede helfende Hand.“

Die Kinder tauschten einen Blick aus, bevor sie aufstanden und Anna halfen. Doch ihre Gedanken blieben bei der Glocke und den Geheimnissen des Sees.

Ein seltsamer Austausch
Während die Kinder Girlanden befestigten und Laternen aufhängten, bemerkte Anna etwas Seltsames. Jonas, der mysteriöse Gast, sprach mit Herrn Mikkel, dem alten Fischer, der dafür bekannt war, Geschichten über den See zu erzählen. Die beiden standen abseits des Trubels, und ihre Körperhaltung war angespannt.

Anna trat näher, ohne ihre Anwesenheit zu verraten, und lauschte.

„Der See reagiert auf die Glocke“, sagte Jonas leise. „Die Wächter sind wachsam.“

„Was passiert, wenn das Gleichgewicht gestört wird?“ fragte Mikkel, seine Stimme nervös.

„Das wollen wir nicht herausfinden“, antwortete Jonas. „Aber ich brauche mehr Informationen. Sie wissen mehr, als Sie zugeben.“

Mikkel schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Manche Dinge sollten besser unberührt bleiben.“

Bevor Anna näher herantreten konnte, drehte sich Jonas um und ging, während Mikkel sich zum Seeufer wandte, die Hände in den Taschen. Anna machte sich eine mentale Notiz, später mit Jonas zu sprechen.

Das Fest beginnt
Am Abend verwandelte sich das Gelände des Hotels in einen lebendigen Treffpunkt. Laternen hingen zwischen den Bäumen, und der Duft von frisch gebackenem Brot und gegrilltem Fleisch lag in der Luft. Dorfbewohner und Gäste mischten sich, lachten und erzählten Geschichten. Die Kinder hatten beschlossen, das Fest als Gelegenheit zu nutzen, Jonas zu beobachten und möglicherweise mehr über seine Absichten zu erfahren.

„Seht ihr ihn?“ fragte Mia, während sie eine Schale mit frisch gebackenen Keksen nahm.

„Er steht dort drüben, bei Herrn Petersen“, sagte Lukas und deutete auf eine Ecke des Gartens. Jonas hatte wie immer seine dunkle Jacke an und schien jeden im Blick zu haben.

„Was macht er da?“ fragte Lea.

„Vielleicht versucht er, Informationen zu sammeln“, sagte Finn.

„Oder er wartet darauf, dass wir einen Fehler machen“, sagte Mia.

Die Kinder beschlossen, Jonas vorsichtig zu folgen, als er sich vom Fest entfernte und in Richtung des Seeufers ging.

Das Geheimnis der Glocke
Am Ufer angekommen, bemerkten die Kinder, dass Jonas etwas in der Hand hielt. Es war ein weiterer Kristall, ähnlich dem, den sie gefunden hatten. Er hielt ihn über das Wasser, und ein schwaches Licht begann von ihm auszugehen.

„Was macht er da?“ flüsterte Finn.

„Es sieht aus, als würde er die Wächter rufen“, sagte Mia.

Plötzlich drehte sich Jonas um. „Ich weiß, dass ihr da seid“, sagte er ruhig.

Die Kinder traten zögernd aus ihrem Versteck. „Was machen Sie hier?“ fragte Lukas mutig.

Jonas betrachtete sie einen Moment lang, bevor er sprach. „Ich versuche, Antworten zu finden, genau wie ihr. Der See ist mehr als nur ein Ort. Er ist ein Hüter von Geheimnissen, die nicht jeder verstehen kann.“

„Was hat die Glocke damit zu tun?“ fragte Mia.

„Die Glocke ist der Schlüssel“, sagte Jonas. „Aber ein Schlüssel kann Türen öffnen – und Gefahren freisetzen.“

Die Kinder sahen sich an, während Jonas seine Hand über den See hielt. „Hört auf, vorschnell zu handeln“, warnte er. „Wenn das Gleichgewicht gestört wird, könnten die Konsequenzen schwerwiegend sein.“

Ein plötzlicher Klang
Während Jonas sprach, ertönte plötzlich ein lauter Klang. Es war die Glocke, doch diesmal schien ihr Ton aus dem Wasser selbst zu kommen. Das Licht über dem See wurde heller, und die Kinder konnten Schatten sehen, die sich im Nebel bewegten.

„Das sind die Wächter“, flüsterte Mia.

„Oder etwas anderes“, sagte Lukas und trat einen Schritt zurück.

„Ihr habt sie gerufen“, sagte Jonas ernst. „Jetzt werdet ihr die Wahrheit herausfinden.“

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