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Episode 28: Das Echo aus der Tiefe

Die Nacht war kühl und klar, doch über dem Sankelmarker See lag eine Stille, die schwer auf der Luft lastete. Der Nebel hatte sich zurückgezogen, als ob der See selbst den Atem angehalten hätte, um auf etwas zu warten. Anna stand in der Lobby des Hotels Seeblick und blickte nachdenklich aus dem großen Fenster. Die Lichter des Hotels warfen ein warmes Leuchten auf den Holzboden, doch draußen war nur Dunkelheit. Die letzten Tage hatten gezeigt, dass sich etwas verändert hatte – nicht nur im See, sondern auch im Hotel selbst.

Während sie darüber nachdachte, kamen die Kinder mit aufgeregten Gesichtern hereingestürmt. Lukas hielt ein Notizbuch in der Hand, Mia trug eine kleine Taschenlampe, und Finn wirkte so, als hätte er gerade eine große Entdeckung gemacht.

„Anna!“, rief Lea, außer Atem. „Wir haben etwas gefunden – etwas Großes!“

Anna sah von ihrem Kaffee auf. „Was ist es diesmal? Bitte sagt mir, dass ihr euch nicht wieder in Gefahr begeben habt.“

„Nicht direkt“, sagte Lukas und schlug das Notizbuch auf. „Wir waren beim Bootssteg und haben versucht, die Gravuren auf der Steinplatte genauer zu untersuchen. Aber sie ist weg. Einfach verschwunden.“

„Wie kann eine tonnenschwere Steinplatte einfach verschwinden?“, fragte Anna skeptisch.

„Wir wissen es nicht“, sagte Mia. „Aber Finn hat eine Aufnahme gemacht, kurz bevor sie verschwand. Und hört euch das an.“

Finn holte sein Handy heraus und spielte die Aufnahme ab. Ein tiefes, dröhnendes Geräusch erfüllte den Raum, begleitet von einem leichten Summen, das in Wellen durch den Raum zu fließen schien. Anna spürte, wie sich ihr Nackenhaare aufstellten.

„Das klingt wie… eine Art Echo?“, murmelte Anna.

„Genau!“, sagte Finn aufgeregt. „Und es kommt aus dem Hotel.“

Die Kinder und Anna sahen sich an. Seit Tagen hatten sich die Ereignisse im Hotel gehäuft – seltsame Geräusche in der Nacht, flackernde Lichter, ein Gefühl der Unruhe, das nicht verschwinden wollte. Könnte es sein, dass das Hotel selbst auf die Veränderungen des Sees reagierte?

„Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden“, sagte Lukas entschlossen. „Wir müssen den Keller noch einmal untersuchen.“

Anna seufzte. „Ich wusste, dass ihr das sagen würdet.“

Die Gruppe machte sich auf den Weg in den Keller, wo das seltsame Geräusch lauter zu werden schien. Mit jedem Schritt, den sie die knarrenden Holztreppen hinabgingen, verstärkte sich das Gefühl, dass sie einer Wahrheit immer näher kamen, die lange verborgen gewesen war.

Als sie den Keller erreichten, war die Luft dort unten kühler als gewöhnlich. Die Taschenlampen warfen zuckende Schatten an die Wände, während Anna versuchte, sich zu orientieren. Alles sah aus wie immer – bis Finn eine Entdeckung machte.

„Hier, schaut mal!“, sagte er und zeigte auf eine Stelle unter der Treppe. Ein alter, verstaubter Teppich lag dort, und als Lukas ihn zurückzog, kam eine steinerne Platte zum Vorschein. Sie war in den Boden eingelassen und mit Symbolen verziert, die den Gravuren auf der verschwundenen Steinplatte im See ähnelten.

„Das ist es!“, sagte Mia. „Das ist die Kammer, die auf den alten Bauplänen eingezeichnet war!“

„Und es sieht aus, als wäre sie versiegelt worden“, fügte Lea hinzu.

Anna kniete sich hin und strich mit den Fingern über die raue Oberfläche. „Wenn das eine verborgene Kammer ist, dann wurde sie mit gutem Grund versteckt.“

„Oder um etwas zu schützen“, murmelte Finn.

Nach einigem Suchen fanden sie eine alte Eisenstange, die offenbar als Hebel dienen konnte. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die Platte, bis sie sich mit einem dumpfen Geräusch bewegte. Darunter lag eine dunkle Öffnung – eine verborgene Kammer unter dem Hotel.

„Also gut“, sagte Anna und nahm ihre Taschenlampe. „Lasst uns vorsichtig sein.“

Die Luft in der Kammer war alt und trocken, als ob seit Jahrzehnten niemand mehr hier gewesen war. Die Wände waren mit verblassten Malereien bedeckt, und in der Mitte des Raumes stand eine massive Truhe, deren Holz von der Zeit geschwärzt war.

„Das sieht aus wie eine Art Archiv“, sagte Mia, während sie über eine der Wandgravuren strich.

„Oder ein geheimer Raum für die Rituale“, fügte Lukas hinzu.

Anna trat an die Truhe heran und öffnete sie vorsichtig. Darin lagen alte Bücher, Schriftrollen und ein kleiner, metallischer Gegenstand, der aussah wie ein Teil einer Glocke.

„Das ist… unglaublich“, sagte Anna leise.

Doch bevor sie weiterforschen konnten, erklang das tiefe Summen erneut – diesmal lauter, als käme es direkt aus den Wänden des Hotels.

„Ich glaube, wir haben etwas geweckt“, sagte Finn.

„Oder jemand will, dass wir das hier finden“, sagte Mia.

Während sich die Gruppe schweigend ansah, spürten sie, dass die Geschichte des Sees und des Hotels noch lange nicht zu Ende war. Sie hatten eine Tür geöffnet, die vielleicht besser verschlossen geblieben wäre – doch nun gab es kein Zurück mehr.

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