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Episode 33: Das Echo des Sees

Der Abend legte sich langsam über das Dorf Sankelmark, und mit ihm kam eine seltsame Ruhe. Der See lag spiegelglatt da, als würde er auf etwas warten. Doch unter der Oberfläche lauerte eine Veränderung, die die Dorfbewohner nicht ignorieren konnten. Das Licht der Laternen im Dorf flackerte, während die Menschen sich um das Café „Kiek In“ versammelten. Es war einer dieser Abende, an denen man spürte, dass sich etwas zusammenbraute – nicht nur im Wasser, sondern in der Gemeinschaft selbst.

Anna war den ganzen Tag mit dem Hotel beschäftigt gewesen. Das Seeblick war gut besucht, und die Gäste stellten immer wieder Fragen zu den seltsamen Vorkommnissen der letzten Nächte. Manche flüsterten über das Grollen, das vom See kam, andere über Jonas, der spurlos verschwunden war. Und dann gab es jene, die fest davon überzeugt waren, dass die Kinder etwas geweckt hatten, das besser verborgen geblieben wäre.

„Frau Anna, haben Sie diese Zeichen gesehen?“ fragte Herr Petersen, der alte Fischer, als er an die Rezeption trat. „Ein paar von uns waren heute Nachmittag am See, und plötzlich war es wieder da – das Zeichen auf dem Wasser.“

Anna legte die Hand auf den Tresen. „Was meinen Sie mit ‚wieder da‘?“

„Genau das, was ich sage.“ Petersen schüttelte den Kopf. „Das Zeichen, das verschwunden war. Heute war es zurück, aber es hat sich verändert. Es ist nicht mehr dasselbe Muster.“

Anna wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Stattdessen versprach sie, sich selbst ein Bild davon zu machen. Doch bevor sie dazu kam, tauchten Lukas, Mia, Finn und Lea auf, die aufgeregt ins Hotel stürmten.

„Anna!“, rief Lukas. „Wir müssen sofort zum See! Es ist wieder da!“

„Das haben wir gerade gehört,“ sagte Anna ruhig. „Aber ihr werdet nicht alleine hingehen.“

Die Kinder nickten. Sie hatten gelernt, dass manche Dinge zu groß waren, um sie allein zu bewältigen.

Auf dem Weg zum Ufer gesellten sich einige Dorfbewohner zu ihnen – darunter Herr Petersen, Frau Meier und ein paar andere, die von den Ereignissen gehört hatten. Sie wollten sehen, ob die Geschichten wahr waren oder ob sich die Gerüchte verselbstständigt hatten.

Als sie am Steg ankamen, hielten alle den Atem an.

Auf der Wasseroberfläche, genau dort, wo die Steinplatte einst gelegen hatte, schimmerte das Zeichen erneut. Doch diesmal pulsierte es schwach, als ob es sich bewegte. Es war, als würde der See selbst versuchen, eine Nachricht zu übermitteln.

„Das ist… unglaublich,“ flüsterte Mia.

„Oder beängstigend,“ murmelte Finn.

Herr Petersen trat einen Schritt vor und starrte auf das Leuchten. „Ich habe so etwas noch nie gesehen. Nicht in all den Jahren, in denen ich hier fische.“

„Vielleicht ist es ein Warnsignal,“ sagte Lea. „Oder ein Ruf.“

Anna beobachtete das Geschehen mit gemischten Gefühlen. War es möglich, dass die Wächter des Sees sich wirklich bemerkbar machten? War das Symbol eine Antwort auf das, was sie im Hotel entdeckt hatten?

„Wir sollten Frau Lund in der Akademie Sankelmark davon erzählen,“ sagte Lukas schließlich. „Vielleicht weiß sie, was es bedeutet.“

Während die Dorfbewohner leise flüsterten, begann der Nebel, sich um den See zu verdichten. Es war ein seltsames, fast hypnotisches Schauspiel – als ob die Natur selbst ihre Finger nach den Beobachtern ausstreckte.

„Ich denke, wir sollten zurück ins Dorf gehen,“ sagte Anna entschlossen. „Wir können hier nichts weiter tun – zumindest nicht jetzt.“

Die Gruppe löste sich langsam auf, doch die Unruhe blieb. Zurück im Hotel versammelten sich die Kinder in der Lobby, um ihre Notizen zu ordnen.

„Das Zeichen hat sich verändert,“ sagte Lukas. „Warum? Was bedeutet das?“

„Vielleicht, dass sich das Gleichgewicht weiter verschiebt,“ sagte Mia.

Finn zog eine Augenbraue hoch. „Oder dass wir in etwas geraten sind, das wir nicht kontrollieren können.“

Anna seufzte und lehnte sich gegen den Tresen. „Ich wünschte, ich könnte euch eine Antwort geben. Aber vielleicht gibt es keine einfache Erklärung.“

Die Glocke im Keller vibrierte erneut – nur leicht, kaum wahrnehmbar, aber genug, dass Anna und die Kinder es spüren konnten.

„Das war nicht der Wind,“ sagte Lea.

„Nein,“ sagte Anna leise. „Das war der See.“

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