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Episode 48: Die Reise nach Oeversee

Der Morgen am Sankelmarker See war von einer kühlen, klaren Brise durchzogen. Die Sonne stieg langsam über die Baumwipfel und tauchte das Wasser in ein sanftes Licht. Trotz der stillen Schönheit des Sees lag eine spürbare Unruhe in der Luft. Die Glocke, die sie am Vortag aus dem Wasser gezogen hatten, stand immer noch auf dem Tisch in der Lobby des Hotels Seeblick, und niemand wusste so recht, was sie nun damit tun sollten.

„Vielleicht ist es Zeit, unsere Suche auf eine andere Weise fortzusetzen,“ sagte Anna nachdenklich, während sie sich zu den Kindern setzte. „Wir wissen jetzt, dass die Glocke eine Bedeutung hatte, aber wir wissen nicht genug darüber.“

„Frau Lund konnte uns zwar einiges über die Symbole sagen,“ überlegte Lukas, „aber es muss doch noch mehr geben.“

„Vielleicht sollten wir Oeversee besuchen,“ schlug Petersen vor, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Ich erinnere mich, dass dort in alten Kirchen und Klöstern oft Hinweise auf frühere Zeiten gefunden wurden. Vielleicht gibt es irgendwo eine Erwähnung dieser Glocke.“

Anna nickte langsam. „Das ist eine gute Idee. Oeversee hat eine lange Geschichte – die Schlacht von 1864, das Gut Oeversee, alte Handelswege. Vielleicht finden wir dort eine Spur.“

„Und es gibt auch die alte Wassermühle,“ fügte Mia hinzu. „Die war doch früher ein wichtiger Ort für das Dorf.“

„Dann lasst uns nach Oeversee fahren,“ entschied Anna. „Vielleicht bringt uns das weiter.“

Die Fahrt nach Oeversee war kurz, aber die Atmosphäre im Auto war angespannt. Die Kinder sprachen wenig, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Finn hielt den alten Kompass in der Hand, der ihnen bereits eine Spur gezeigt hatte, doch noch immer zeigte er auf den See.

Als sie im Dorf ankamen, parkte Anna das Auto in der Nähe der Kirche St. Georg, einer der ältesten Kirchen in der Region. Sie war über 800 Jahre alt und hatte schon viele Epochen überstanden. Das alte Mauerwerk war mit Efeu bewachsen, und der Friedhof daneben erzählte Geschichten aus vergangenen Zeiten.

„Ich wette, wenn irgendwo ein Hinweis auf die Glocke existiert, dann hier,“ sagte Lukas.

Sie betraten die kühle, steinerne Kirche, in der eine fast ehrfurchtgebietende Stille herrschte. Ein älterer Mann, der sich als Herr Carstensen vorstellte, war der Kirchenführer. Als sie ihm ihre Fragen stellten, überlegte er lange.

„Es gibt tatsächlich Aufzeichnungen über Glocken,“ sagte er schließlich. „Früher wurden sie nicht nur für Gottesdienste genutzt, sondern auch, um Schutz zu bieten – sei es vor Angreifern oder vor Dingen, die man nicht erklären konnte.“

„Gab es jemals eine Glocke, die verschwunden ist?“ fragte Mia.

Herr Carstensen runzelte die Stirn. „Nicht, dass ich wüsste. Aber es gibt eine Legende, die besagt, dass eine Glocke einst vom Kloster Oeversee entfernt wurde und nie wieder gesehen wurde.“

„Und wo ist dieses Kloster?“ fragte Finn.

„Es gibt es nicht mehr. Es wurde vor Jahrhunderten zerstört,“ sagte Carstensen. „Aber es heißt, dass einige Dinge aus dem Kloster versteckt wurden, um sie zu bewahren.“

Die Gruppe verließ die Kirche mit einer neuen Spur, aber auch mit vielen offenen Fragen. Während sie durch das Dorf gingen, machten sie eine Pause beim Nahkauf, wo sie Diana sahen, die, wie gewohnt, mit einem Astra in der Hand vor dem Laden stand und sich mit einem älteren Mann unterhielt. Sie grinste, als sie die Gruppe vorbeigehen sah.

„Na, auf Schatzsuche?“ rief sie lachend.

Anna winkte ihr zu, aber ihre Gedanken waren woanders. Die Glocke hatte eine Geschichte, und sie waren entschlossen, sie zu finden.

„Wir müssen weiterforschen,“ sagte sie zu den Kindern. „Vielleicht gibt es noch eine andere Spur – etwas, das uns zeigt, warum die Glocke verschwunden ist.“

Die Kinder nickten, und mit neuen Fragen im Kopf machten sie sich auf den Rückweg nach Sankelmark.

Doch während sie fuhren, fiel ihnen auf, dass sich der Himmel verdunkelte. Der See lag ruhig da, aber etwas an ihm wirkte verändert.

„Ich habe das Gefühl, dass wir etwas geweckt haben,“ flüsterte Mia.

„Vielleicht,“ sagte Anna. „Oder vielleicht wollte der See, dass wir es finden.“

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