
Das Stadtarchiv von Flensburg war ein Ort, an dem die Vergangenheit bewahrt wurde. Hier, zwischen alten Büchern, vergilbten Dokumenten und verstaubten Karteikästen, lag das Wissen über Jahrhunderte von Geschichte. Anna und die Kinder hatten sich früh auf den Weg gemacht, um nach weiteren Hinweisen zu suchen – Hinweise, die sie vielleicht endlich verstehen lassen würden, warum die Glocke im See verborgen worden war und warum sich die Zeichen auf dem Wasser veränderten.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es hier so groß ist,“ sagte Finn und sah sich staunend um. Die hohen Bücherregale zogen sich bis zur Decke, und das Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel, warf lange Schatten auf den Holzboden.
„Hier sind Aufzeichnungen aus mehreren Jahrhunderten,“ erklärte die Bibliothekarin, eine ältere Dame mit grauem Haar und einer freundlichen, aber bestimmten Stimme. „Wenn es etwas über den See oder die Glocke gibt, dann könnte es hier sein. Aber es wird eine Weile dauern, alles zu durchsuchen.“
„Dann sollten wir keine Zeit verlieren,“ sagte Lukas entschlossen.
Die Gruppe verteilte sich auf verschiedene Tische. Mia und Lea begannen, alte Karten der Region zu studieren, während Lukas und Finn sich auf handgeschriebene Chroniken aus vergangenen Jahrhunderten konzentrierten. Anna durchforstete eine Sammlung von Kirchenarchiven, in der Hoffnung, etwas über die Rolle der Glocke in alten Ritualen zu finden.
„Hier steht etwas über eine besondere Glocke, die einmal in der St.-Georg-Kirche in Oeversee gehangen haben soll,“ murmelte Anna und zeigte auf einen Eintrag aus dem 18. Jahrhundert. „Es heißt, sie wurde entfernt und an einen anderen Ort gebracht – aber es steht nicht, wohin.“
„Vielleicht hat man sie im See versenkt, um sie zu verstecken?“ überlegte Mia.
„Oder um etwas zu verhindern,“ fügte Finn hinzu.
Nach einer Stunde des Suchens fand Lea eine interessante Notiz. „Hier ist eine Erwähnung aus dem Jahr 1894,“ sagte sie. „Ein Fischer schrieb über eine Nacht, in der der See sich veränderte. Er sprach von Licht auf dem Wasser und davon, dass die Glocke geläutet wurde, aber der Ton klang ‚wie ein Echo aus der Tiefe‘.“
„Das klingt wie das, was wir erlebt haben,“ sagte Lukas aufgeregt.
„Dann gab es diese Phänomene also schon früher,“ stellte Anna fest. „Und damals schienen sie mit der Glocke verbunden zu sein.“
Während sie die alten Dokumente durchgingen, bemerkte Mia etwas Eigenartiges. „Seht euch das an – hier ist eine Karte von Flensburg aus dem Jahr 1720. Sie zeigt nicht nur die Stadt, sondern auch umliegende Gebiete. Und schaut mal hier…“
Sie deutete auf einen kleinen, eingezeichneten Punkt in der Nähe des Sankelmarker Sees.
„Da ist eine Markierung,“ sagte Finn. „Aber heute gibt es dort nichts mehr.“
„Oder nichts Sichtbares,“ korrigierte Mia. „Vielleicht hat Magnus danach gesucht. Vielleicht war dort früher etwas, das heute vergessen wurde.“
„Dann müssen wir diesen Ort finden,“ entschied Lukas.
Die Bibliothekarin trat an den Tisch und sah sich die Karte an. „Diese Markierung bezieht sich auf ein altes Gutshaus,“ sagte sie. „Es gehörte einer Familie, die eng mit der Kirche in Oeversee verbunden war. Das Gebäude selbst existiert nicht mehr, aber einige Fundamente sind noch erhalten. Es heißt, dass dort wichtige Dinge versteckt wurden, die während der Kriege nicht in die falschen Hände geraten sollten.“
„Dann ist das unsere nächste Spur,“ sagte Anna.
Die Kinder nickten, während sie die Karte und einige Notizen sorgfältig zusammenpackten. Sie hatten nicht nur eine neue Richtung für ihre Suche gefunden – sie hatten einen Ort entdeckt, an dem vielleicht Antworten auf sie warteten.
Als sie das Archiv verließen, blickte Anna auf den Himmel. Der Tag neigte sich dem Ende zu, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass dies erst der Anfang war. Irgendetwas wartete auf sie – verborgen in den Ruinen eines längst vergessenen Ortes.